Gartenfest "Land in Sicht": Begegnung mit Vertretern der beruflichen Bildung und aus ländlichen Räumen

Schwerpunktthema: Rede

Schloss Bellevue, , 18. Juni 2019

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat Vertreter der beruflichen Bildung und aus ländlichen Räumen am 18. Juni zu einem Gartenfest in den Park von Schloss Bellevue eingeladen: "Für gleichwertige Lebensverhältnisse überall in Deutschland brauchen wir auch überall gleichwertige Chancen auf Ausbildung und Beschäftigung. Das geht nicht ohne berufliche Bildung. Sie ist in der ganzen Breite unseres Landes verankert. Sie stärkt lokale Bindungskräfte, sie stärkt den Zusammenhalt."

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hält eine Ansprache bei dem Gartenfest im Park von Schloss Bellevue.

Erinnern Sie sich an Ihr letztes Klassentreffen? An die Mischung aus Vorfreude und Spannung vor dem Wiedersehen mit alten Bekannten? Alte Bekannte sind wir vielleicht noch nicht, aber bei den Land in Sicht-Reisen und während der Woche der beruflichen Bildung haben wir die meisten von Ihnen kennengelernt, auf Reisen einmal quer durch die Bundesrepublik der beruflichen Bildung und durch viele ländliche Regionen Deutschlands.

Irgendwo in Deutschland, im Osten oder im Westen, im Norden oder im Süden haben wir die allermeisten, die heute hier sind, kennengelernt. Wir haben Menschen getroffen, die sich für ihre Nachbarn einsetzen oder die in Betrieben und Berufsschulen dafür sorgen, dass junge Leute eine gute Ausbildung bekommen.

Von diesen Reisen durchs Land und den Begegnungen mit Ihnen haben wir wunderbare Erinnerungen mit nach Hause genommen. Und deswegen freuen wir uns ganz besonders, Sie alle heute wiederzusehen. Herzlich willkommen im Park von Schloss Bellevue!

Ich habe einmal in meinem Gedächtnis gekramt und bekomme hoffentlich alle Stationen zusammen:

Die Reisen in die ländlichen Regionen haben uns in den Bayerischen Wald geführt, in die Oberlausitz, nach Ostfriesland, in die Südwestpfalz und den Südharz, in die Uckermark und nach Vorpommern. Wir haben Neulandgewinner empfangen, wir haben unzählige Menschen getroffen, die unkonventionelle Projekte in ihren Dörfern auf den Weg gebracht haben, und waren auf der Internationalen Grünen Woche zum Thema der Zukunft der ländlichen Räume.

In der Woche der beruflichen Bildung haben wir in Berlin und Potsdam die Handwerkskammer besucht. Wir waren bei der Industrie- und Handelskammer in Düsseldorf und bei der DEHOGA-Jugendmeisterschaft in Berlin. Wir haben uns Berufsschulen in Bietigheim-Bissingen, Hamburg und Ludwigsburg und eine Gesamtschule in Dortmund angesehen. Wir waren in Betrieben, bei BMW in Leipzig und bei Lapp in Stuttgart, und bei Berufsagenturen und Vermittlungsstellen in Hamburg und Essen.

Und das ist alles nur ein Ausschnitt der Begegnungen, die es gab. Egal wo wir waren, überall haben wir Ihre herzliche Gastfreundschaft genossen. Dafür wollten wir Danke sagen und Sie zu einem Gegenbesuch nach Bellevue einladen. Wie schön, dass Sie nun hier sind!

Die Aufgaben des Bundespräsidenten sind in unserem Grundgesetz klar geregelt. Aber neben dem Pflichtprogramm, wie Regierungen zu ernennen und Gesetze auszufertigen, lässt das Amt auch Spielraum für die Kür, also um eigene Akzente zu setzen.

Genau das wollte ich gemeinsam mit meiner Frau tun. Uns war wichtig, den Scheinwerfer auf das zu richten, was in der öffentlichen Wahrnehmung oft unterbelichtet bleibt und im Berliner Politikbetrieb eine stärkere Wahrnehmung verdient.

Zum Beispiel das Thema Bildung. Gern und oft wird darüber diskutiert. Das ist auch richtig so! Aber zu oft geht es in den Debatten um die Frage: Haben wir genügend Akademiker? Wie steht es um Gymnasien und Universitäten? Dabei geht immer noch die Hälfte der Jugendlichen nach der Schule in einen Ausbildungsberuf. Ihr Lebensweg hängt weniger von einer Abiturnote als von der Qualität der beruflichen Ausbildung ab. Deshalb haben wir die Scheinwerfer etwas stärker auf die Berufsschulen und ihre gute Arbeit unter schwierigen Bedingungen ausgerichtet. Darauf muss mehr politische Aufmerksamkeit liegen, wenn uns die Welt weiter um unsere gute duale Ausbildung beneiden soll!

Oder zum Beispiel die ländlichen Räume. Zu lange waren diese Regionen etwas aus dem Fokus geraten. Dabei haben viele mittelständische Weltmarktführer ihren Sitz auf dem Land. Wenn wir über Mieten reden, schauen wir auf die Ballungsräume und die Großstädte. Das darf den Blick nicht von der Tatsache ablenken, dass mehr als die Hälfte der Deutschen in den ländlichen Regionen leben und nicht in den großen Städten. Gleichwertige Lebensverhältnisse sind keine politische Formel, sie sind uns eine verfassungsrechtliche Verpflichtung. Aber wir wissen von den Reisen: Sie sind in manchen Regionen ein fernes Ziel.

Wenn meine Frau und ich im Schloss Bellevue entscheiden, den Scheinwerfer auf dieses und jenes zu richten, dann reicht das nicht aus. Wir brauchten starke Partner, die uns dabei unterstützen.

Deswegen geht unser Dank – und jetzt muss ich für die lange Liste kurz Luft holen – an die Gewerkschaften und Arbeitgeber, an die Kammern für Industrie und Handwerk, die Kultusministerkonferenz, das Bundesinstitut für Berufsbildung, den Verband der kommunalen Unternehmen, die Berufsschullehrerinnen und -lehrer, die Landfrauen und Landjugend, und an die Landräte und Bürgermeister. Und unser größter Dank geht an die vielen tausend Ehrenamtlichen, die unser Land am Laufen halten. Herzlichen Dank Ihnen allen!

Wenn wir jetzt gemeinsam auf die vergangenen zwei Jahre zurückblicken, dann dürfen wir gerne durchaus stolz sein. Uns allen ist es gelungen, der Zukunft der ländlichen Räume und der beruflichen Bildung ein wenig mehr Beachtung zu verschaffen.

Vielleicht hat diese Aufmerksamkeit auch ein ganz klein wenig dazu beigetragen, dass die ländlichen Räume und die Zukunft der Dörfer, die berufliche Ausbildung und die Lage der Berufsschulen in der Berichterstattung mehr vorgekommen sind. Das war höchste Zeit!

Die Zukunft kommt von allein. Welche Art von Zukunft das sein wird, hängt von vielen ab – auch von der Politik. Das haben wir oft und von vielen, die heute hier sind, gehört. Etwa das Beispiel schnelles Internet auf dem Land. Ohne eine gut ausgebaute digitale Infrastruktur können Betriebe nicht gehalten werden, keine neuen sich ansiedeln. Eine gute digitale Infrastruktur ist mehr als Daseinsvorsorge, sie ist Dableibevorsorge. Darauf müssen sich die Menschen auch in ländlichen Gebieten verlassen können.

Ich komme selbst vom Land und habe als Abgeordneter lange einen ländlichen Wahlkreis vertreten. Ich weiß: Zu viele Orte liegen immer noch im Funkloch. Deswegen freue ich mich, dass bei der Vergabe der 5G-Mobilfunklizenzen auch eine breite Abdeckung des ländlichen Raums eine wichtige Rolle gespielt hat. Ich hoffe, dass das in der Umsetzung auch spürbar sein wird.

Ich freue mich auch, dass für angehende Erzieherinnen und Erzieher oder Pflegerinnen und Pfleger das Schulgeld abgeschafft worden ist. Das war nur schwer zu begreifen, dass junge Menschen, die unsere Gesellschaft so dringend braucht, für ihre Ausbildung auch noch zahlen mussten.

Ich finde, all das sind Positivbeispiele für erfolgreiche Lobbyarbeit in einer guten Sache! Das ist in der Öffentlichkeit und im politischen Raum angekommen. Und darauf können Sie zu Recht stolz sein!

Vielleicht fragen sich manche von Ihnen, warum wir die Partner beider Aktionen gemeinsam nach Bellevue eingeladen haben. Was haben berufliche Bildung und ländliche Regionen eigentlich miteinander zu tun?

Wir glauben: sehr viel! Für gleichwertige Lebensverhältnisse überall in Deutschland brauchen wir auch überall gleichwertige Chancen auf Ausbildung und Beschäftigung. Das geht nicht ohne berufliche Bildung. Sie ist in der ganzen Breite unseres Landes verankert. Sie stärkt lokale Bindungskräfte, sie stärkt den Zusammenhalt. Auch eine gute berufliche Bildung ist Dableibevorsorge.

Damit keine Missverständnisse aufkommen: Das ist keine Lizenz zum Daheimbleiben. Im Gegenteil: Gerade die berufliche Bildung bietet tolle Chancen, mit Austauschprogrammen wie Erasmus+ Europa hautnah zu erleben und den eigenen Horizont zu erweitern. Einige von denen, die das gewagt haben, haben wir getroffen, und sie haben uns mit glänzenden Augen von ihren Erfahrungen berichten können.

Aber wir wollen eben keinen Zwang zum Wegziehen, nur weil es keine Ausbildungsbetriebe und Berufsschulen in der Nähe oder keine Nahverkehrsangebote gibt. Wir wollen, dass junge Menschen sagen können: Ja, ich habe in meiner Region mit meinem Beruf eine Zukunft. Gleichwertige Chancen für alle Menschen überall in Deutschland – das muss unser Ziel sein!

Gerade weil beide Initiativen so gut zusammenpassen, hoffen wir, dass Sie mit Ihren Sitznachbarn ins Gespräch kommen. Tauschen Sie sich mit Gleichgesinnten aus! Nicht jeder muss das Rad neu erfinden, sondern darf sich gerne hier und da gute Ideen abschauen.

Interkommunale Kooperationen, wie ich sie im Ilzer Land oder in Prenzlau erlebt habe, sind gute Beispiele dafür. Dort schauen Kommunen über den eigenen Dorfrand hinaus, sie tun sich zusammen für eine bessere Lebensqualität in der Region.

Vielleicht können wir heute eine zusätzliche Kooperation unter Dach und Fach bringen. In Tantow in der Uckermark, lieber Amtsdirektor Gotzmann, habe ich einen deutsch-polnischen Kindergarten besucht. Wenige Tage später erreichte mich eine E-Mail von Bürgermeisterin Prange aus Ostritz in Sachsen, wo ich ebenfalls zu Besuch war. Überraschung: Auch in Ostritz gibt es einen deutsch-polnischen Kindergarten.

Liebe Bürgermeisterin Prange, Sie schrieben mir, dass Sie einen Austausch der beiden Kindergärten auf die Beine stellen wollen. Ich bin gespannt, ob daraus schon etwas geworden ist. Und wenn nicht: Heute ist die perfekte Gelegenheit dazu!

Das sind nur einige Beispiele dafür, was gelingen kann, wenn wir mit Mut und Zuversicht in die Zukunft blicken und alle tatkräftig mit anpacken. Daran haben Sie großen Anteil. Sie sind Vorbilder, Sie sind Mutmacher – Sie bereichern unser Land, und Sie bereichern unser Zusammenleben!

Dabei wollen und dabei werden meine Frau und ich Sie auch weiterhin unterstützen. Heute darf gefeiert werden, aber heute ist kein Abschlussfest – morgen geht es weiter!

Noch einmal: Schön, dass Sie alle da sind! Herzlichen Dank!